Das Jam-Festival in Gießen kommt einer Selbstorganisierung von Menschen für die Verwirklichung gemeinsamer Werte sehr nahe. Menschen finden sich für eine gemeinsame Sache zusammen: Musik. Musik verbindet Menschen. In Musik fühlen wir was Teilen statt Tauschen bedeutet. In Musik teilen wir unser Innerstes.
Beispielsweise beim Singen. Wenn wir singen, berührt uns etwas, über das wir singen. Wir wissen auf intime Weise wovon wir singen. Nun können wir gewillt sein, dieses Innerste zu teilen und ein Stück unseres Selbst zu geben.

Nach dieser Intention des Teilens können wir in allem spüren: fragt, was ist die Intention hinter dieser Architektur oder diesem Produkt, dem gekochten Essen oder einer Rede steht. Wenn die Intention ist, anderen Menschen zu imponieren, um einen dicken Applaus am Ende zu bekommen, dann sind wir allein im Nehmen. Wenn wir uns öffnen sind wir alle eins im Teilen.

Wir konnten also miterleben, was ein paar Freunde aus Gießen, die über gemeinsame Musik verbunden waren, kreiert hatten: Ein Zusammentreffen von Menschen, zu dem jede/r geladen war. Es gab keine Zugangsbeschränkung durch einen Eintritt. Sondern 3 Tage Jam vom Feinsten!

Die FLAKE passte hierzu gut ins Bild. Und diese schaute sich die FLAKE-Crew von der nebenstehenden Chill-Out-Zone entspannt an. Es ist ein tolles Gefühl, die Menschen beim stöbern durch die Bettlaken zu beobachten, wie sie sich wundern, entdecken und mitspielen. Schön war außerdem, dass einige der Mitspieler vom Herzberg Festival in Gießen wohnten und so mit dabei waren und das Festival mit geretteten Lebensmitteln versorgten.

…Rosina für die Flake-Crew

 

 

Auf diesem Festival erfanden wir das »Charing«.

Wie der Name vermuten lässt, hat das Spiel mit einem Stuhl zu tun (Englisch »chair«) und mit dem Teilen (»sharing«):

Wir stellten zwei Stühle einander gegenüber, auf denen Menschen sich hinsetzen und ihre Gedanken teilen konnten. Ein Stuhl war dem Erzählen gewidmet, ein anderer dem Zuhören – wer dort saß, würde nicht antworten.

Ich habe mich, um es auszuprobieren, auf den Zuhör-Stuhl gesetzt. Tatsächlich kam nach kurzer Zeit ein Mann mittleren Alters vorbei, erst registrierte er weder die große Flake im Hintergrund, noch die Stühle. Er schritt einfach in einer ruhigen Gang seines Weges. Irgendwie trafen sich unsere Blicke und zwar für einen Moment länger als zufällig aneinander vorbeischauend. Das bemerkten wir wohl beide und es entstand ein plötzliches Interesse an einander. Dieser Moment fühlt sich an wie etwas ganz Filigran und Feines. Der Mann kam rüber, setzte sich mir gegenüber und begann zu reden. Er wollte nichts Besonderes mitteilen, aber er redete wie ein Wasserfall. Zuerst prasselten eine Menge Informationen auf mich ein, aber nach ein paar Minuten ebbte das ab, und die Erzählung wurde persönlicher. Der Mann begann, aus seinem Herzen zu sprechen.

Anfangs ging es um Verschwörungstheorien – um alles, was seiner Meinung nach falsch läuft auf der Welt. Erst nach einer Weile erzählte er davon, was das mit ihm macht, wie ohnmächtig er sich fühlt, dass er nicht weiß, was er tun soll, dass er keine Menschen findet, mit denen er sich über all das austauschen geschweige denn mit denen er etwas bewegen könnte.

So ein Gemütszustand ist mir sehr vertraut. Ich bin auch durch so eine Lebensphase voller Verzweiflung und Ohnmachtsgefühlen gegangen. Während der Mann redete, konnte ich vollständig bei ihm sein, und gleichzeitig wusste ich: Ich darf nichts sagen, ich darf das jetzt nicht kaputtmachen. Immer stärker wurde das Gefühl, dass seine Worte zum Vektor wurden, um mehr zu transportieren, mehr als Kontext. Zwischen meinem Herz und dem meines Gegenübers baute sich so etwas wie eine Verbindungslinie auf, die wir fast mit der Hand hätten greifen können.

Dann, nach etwa einer halben Stunde, stand der Mann auf und umarmte mich. Ihm liefen ein paar Tränen über die Wange. Er ging ein Stück weiter, drehte sich nochmal um und schüttelte den Kopf. Wir schauten uns an, und er verschwand in der bunten Menge des Festivals. Das war eine wunderbar märchenhafte Begegnung.

…Lauritz für die Flake-Crew